Tagesspiegel vom 12.04.2023
Was man verspricht, muss man auch halten.
Die Bundesregierung hatte bereits kurze Zeit nach Beginn des russischen Angriffskrieges zugesagt, denjenigen Russen Schutz zu bieten, die sich an diesem Krieg nicht beteiligen würden. Dieses Versprechen hat sie nicht gehalten und sich auf die Dublin-Vorschriften berufen. Danach muss jeder Asylsuchende dort das Asylverfahren durchführen, wo er zuerst den Boden der Europäischen Union betreten hat.
Nikita war über Polen gekommen, nachdem er einen Einberufungsbefehl erhalten hatte. Meine Anfrage bei Pro Asyl Polen ergab die Auskunft, Russen bekämen dort nur dann Asyl, wenn sie beweisen könnten, dass die Einheit, der sie zugewiesen werden, Kriegsverbrechen begehen wird.
Eine solche Forderung ist in der Praxis unerfüllbar. Man stelle sich vor: Der Soldat geht mit Kamera an die Front, filmt und fotografiert zu Beweiszwecken und flüchtet dann mit dem brisanten Beweismaterial über die russische Grenze. Eher unmöglich.
Sollte ihm das - wie durch ein Wunder - doch gelingen, bekommt er in Polen aber erst recht kein Asyl, weil zu seinen Lasten eine Beweislastumkehr angewendet wird. Es wird dann nämlich zu seinen Lasten vermutet, dass er an der Front Kriegsverbrechen begangen hat. Kriegsverbrecher wiederum haben keinen Anspruch auf Asyl.
Diese Ausgangslage war der Grund, weshalb ich das Mandat von Nikita übernahm und ihn zur Überbrückung der Dublin-Frist von sechs Monaten im Kirchenasyl unterbrachte.